«Wir müssen auf breiter Basis umdenken!»

Die gezielte Aktivierung der Regenerationskräfte ist unverzichtbar, um in eine gesunde Balance zu kommen. Am SfGU-Tagesseminar «Energie auf Rezept» ging Prof. Dr. Elmar Wienecke* darauf ein, wie das mit den Methoden der Regulationsmedizin nachweislich gelingt. «Meine Gesundheit» traf den Pionier auf dem Gebiet der Mikronährstofftherapie zum Interview.

Herr Prof. Dr. Wienecke, wie lässt sich messen, ob Spannung und Entspannung (Sympathikus und Parasympathikus) in einem gesunden Gleichgewicht sind?
Elmar Wienecke:
Es gibt eine einfache und wissenschaftlich fundierte Möglichkeit, um die Regulation des vegetativen Nervensystems unkompliziert zu erfassen – die Messung der Herzratenvariabilität (HRV). Grosse Vorteile dieser 24-Stunden-Messung sind u. a. ganz konkrete Hinweise auf die Leistungsbereitschaft, Stressbelastung, Entspannung und die Schlafarchitektur. Aufgrund der Messwerte lässt sich die Balance zwischen der sympathischen und der parasympathischen Aktivität erkennen. Und für die Gesundheit und den Umgang mit Stress ist das entscheidend – egal ob jemand aktiver Sportler oder Patient ist.

Warum genügt es bei der Stressdiagnostik nicht, sich auf das Ausfüllen eines Fragebogens zu beschränken?
Elmar Wienecke: Seriöse Aussagen nur auf der Grundlage eines Anamnesebogens zu treffen ist fast nicht möglich. Das subjektive Empfinden stimmt mit den gemessenen Werten – z. B. der HRV – nicht zwangsläufig überein. Menschen passen sich Situationen sehr schnell an und gewöhnen sich an den Zustand, nicht mehr runterzukommen. Wenn das permanent der Fall ist, dann empfinden die Betroffenen das mit der Zeit als normal. Während der Einzelne das vielfach nicht mehr kritisch reflektieren kann, bemerkt häufig sein persönliches Umfeld, wenn die Balance nicht mehr stimmt. Ich erinnere mich z. B. an eine Begegnung mit einem Manager, der die Personalverantwortung für 10 000 Mitarbeitende hatte. Obwohl die Anzeichen für ein Überlastungssyndrom offensichtlich waren, ignorierte er diese geflissentlich. Subjektiv konnte er sich das nicht zugestehen – er musste doch stark sein!

Was konnten Sie bei ihm mit einer Messung bewirken?
Elmar Wienecke: Anhand der HRV-Werte konnte ich ihm schwarz auf weiss zeigen, dass er überhaupt nicht mehr runterkam und völlig overtuned war. Der Mann ging zwar nachts ins Bett und schloss auch die Augen, doch das Hamsterrad lief unaufhörlich weiter. Und es lief und lief und er kam einfach nicht runter. Erst indem er sein subjektives Empfinden aufgrund der Messwerte objektivierte, konnten wir bei ihm Einsicht wecken. Dabei war der sog. pNN50 für uns ein wichtiger Parameter, weil er die Gegenregulationsmöglichkeit des Parasympathikus widerspiegelt. Mit dem einfachen Verfahren der HRV-Messung konnten wir bei ihm argumentativ unglaublich viel gewinnen. In der Konsequenz führte dies zu einer guten Adhärenz, d. h. der Manager befolgte konsequent den Behandlungsplan, den wir mit ihm zusammen erarbeiteten.

Worauf beruhte dieser Behandlungsplan?
Elmar Wienecke: Entscheidend ist, für jeden Einzelfall eine differenzierte Analyse und Interpretation der Daten und Informationen vorzunehmen – und zwar auf Basis verschiedener Messwerte und eines Anamnesefragebogens. Nur auf diesem Weg kann ein Therapeut einen Patienten tatsächlich zielgerichtet und wirksam behandeln. Neben der HRV, einem Cortisol-Tagesprofil und einem Test der Schilddrüsenfunktion spielt der Mikronährstoffstatus eine besonders grosse Rolle. Es ist unverzichtbar, das gesamte Energiesystem möglichst umfassend zu überprüfen. Unsere evidenzbasierten retrospektiven Studien und Forschungsprojekte aus mehr als 20 Jahren zeigen eindeutig, dass funktionelle Dysbalancen des vegetativen Nervensystems mit einer Unterversorgung mit lebensnotwendigen Mikronährstoffen einhergehen.

Welchen Einfluss hat die bedarfsgerechte Versorgung mit Mikronährstoffen auf die Balance zwischen der sympathischen und der parasympathischen Aktivität?
Elmar Wienecke: Die gezielte Zufuhr von Mikronährstoffen, die auf jeden Einzelnen abgestimmt sind, hat nachweislich einen grossen Einfluss auf das vegetative Nervensystem. Dadurch lassen sich die Parameter der HRV positiv beeinflussen. Werden Mikronährstoffe gezielt zugeführt, dann führt das zu einer Aktivierung des Parasympathikus. Bei einem Mangel an Vitamin D, wovon sehr viele Menschen betroffen sind, ist eine optimale Regeneration nicht möglich. Auch Omega-3-Fettsäuren haben darauf einen Einfluss. Bei dem Manager, von dem ich gesprochen habe, führte u. a. die Gabe von Magnesium und L-Tryptophan dazu, dass er wieder sehr gute Schlafphasen hatte.

Welche Rolle spielt dabei die Ernährung?
Elmar Wienecke: Selbst wer sich ausgewogen ernährt – wie immer wir das auch definieren mögen –, kann seinen Bedarf an Nährstoffen heute nicht mehr vollständig decken. Wir müssen auf diesem Gebiet auf breiter Basis umdenken – das dauert zwar noch etwas, aber es kommt! Über das HCK®-Baukastensystem bin ich sehr dankbar; ich kenne wirklich nichts Vergleichbares. Nach dem Grundsatz «Messen – Machen – Messen» lassen sich damit die verschiedenen Substanzen so kombinieren und dosieren, dass die Gabe exakt dem individuellen Bedarf entspricht. Darüber hinaus müssen wir zusätzliche Massnahmen treffen, um das vegetative Nervensystem in einer gesunden Balance zu halten. Beruflich und privat sind wir jeden Tag nicht nur hohen Anforderungen an die psychophysische Leistungsfähigkeit ausgesetzt, sondern ebenso einer Vielzahl an Risikofaktoren. Dazu zählt z. B. auch die ständige Erreichbarkeit im digitalen Zeitalter. Ohne ausreichende Erholung, durch zu wenig Bewegung und eine nicht angepasste Ernährung laufen wir Gefahr, das Regulationssystem zu überlasten.

*Studiengangleiter des Masterstudiengangs Mikronährstofftherapie und Regulationsmedizin, Fachhochschule des Mittelstands (FHM), Bielefeld, geschäftsführender Gesellschafter der Saluto GmbH, Halle Westfalen, wissenschaftlicher Leiter von Energy for Health

Text: Interview: Jürgen Kupferschmid Bilder: zVg, AdobeStock

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