Vom Radikalfänger zum Energielieferanten

Liposomales Vitamin C gilt als „modernes Vitamin C“, das ohne Wirkstoffverlust im Darm aufgenommen werden kann. Wird die „Revolution der Bioverfügbarkeit“ diesem Anspruch gerecht? Der Dipl.-Chemiker Dr. rer. nat. Dietmar Bäzold klärt auf: In Fett eingebracht, dient Vitamin C der Energiegewinnung, verliert aber seine antioxidative Wirkung bei Angriffen durch freie Radikale.

Wie bei den aktivierten B-Vitaminen, unternimmt man auch beim liposomalen Vitamin C den Versuch, sich über die Natur zu erheben. Das geht allerdings nicht so einfach und ist meistens zum Scheitern verurteilt – die Natur ist einfach cleverer. Liposomale Nahrungsergänzungsmittel stellen einen massiven Eingriff in unsere Biochemie dar. Produkte sollen über einen Transportweg in den Körper eingeschleust werden, der dafür gar nicht vorgesehen ist. Hauptsächlich geht es bei diesem Trend um liposomal gebundenes, d.h. in Fett gelöstes Vitamin C. Bei liposomalen Nahrungsergänzungsmitteln handelt es sich um Präparate, bei denen ein Funktionsstoff in ein winziges Fettkügelchen eingebracht wird. Beim wasserlöslichen Vitamin C ist das nicht ohne weiteres möglich. Bei liposomalem Vitamin C als Einzelpräparat handelt es sich nicht um reines Vitamin C, sondern um das sog. Palmitoyl ascorbate (PA) – einer Fusion aus einem Ascorbinmolekül und Palmitinsäure, die in Palmöl und Kokosfett vorkommt. Alle unsere Zellmembranen bestehen aus dieser langen Fettsäure. In dieser Kombination lässt sich Vitamin C zwar in das Fettkügelchen einbringen, funktioniert als Substanz aber nicht mehr.

Wässrige Phase
Vitamin C erfüllt seine Funktion grundsätzlich nur in der wässrigen Phase. Entscheidend ist dabei, die Wechselwirkung zwischen dem wasserlöslichen Vitamin C und dem fettlöslichen Vitamin E. Als Fettmolekül ist Vitamin E in der Zellmembran eingelagert. Bei einem Angriff durch ein freies Radikal entfernt Vitamin E dieses freie Radikal von der Zellmembran, um vorübergehend selbst zu einem Radikal zu werden. Damit repariert es ein Fettsäuremolekül, das z.B. durch eine aggressive Sauerstoffverbindung angegriffen wurde. Als Radikal sitzt dieses Vitamin E nun am Rande der Fettmatrix fest. Kommt ein Vitamin C aussen vorbeigeschwommen, dann reagieren diese beiden miteinander – es kommt zu einer Redoxreaktion. Das heisst: Vitamin E regeneriert sich selbst, indem es seine Radikaleigenschaft an das Vitamin C überträgt, das in der wässrigen Lösung wegschwimmen muss. Das verhindert, dass es erneut zu einer Reaktion mit der Zellmembran kommt. Damit Vitamin C seiner Funktion als Radikalfänger nachkommen kann, muss es also wässrig gelöst sein. Das ist der entscheidende Punkt. Ein liposomales, d.h. in Fett gelöstes Vitamin C, kann diese Aufgabe somit nicht erfüllen!

Entscheidend ist die Wirkung
Deshalb erscheint es völlig unverständlich, das Vitamin C zu deaktivieren. Wird es in Fettkügelchen eingebracht, gelangt es über die Lymphe in die Leber, wo es dem Fettstoffwechsel zugeführt wird. D.h. es wird im natürlichen Prozess der Fettresorption als Fett verdaut und damit zersetzt. Sollte sich dort schliesslich wieder ein aktives Vitamin C abspalten, müsste es zunächst rekombiniert werden. Dafür stehen dem Körper aber keine Enzyme zur Verfügung. Beim liposomalen Vitamin C ist erst noch der Nachweis zu erbringen, dass das Palmitoyl ascorbate (PA) in der wässrigen Phase im Urin tatsächlich wieder als Vitamin C herauskommt. Was bewirkt nun in Fett gelöstes Vitamin C? Es wird resorbiert und dient der Energiegewinnung, kann aber niemals als Funktionsgruppe des Vitamin C wirken. Unser Körper ist nicht auf ein Vitamin C ausgelegt, das an einem langen Fettmolekül hängt. Es ist deshalb gut vorstellbar, dass man vom Trend des liposomalen Vitamin C über kurz oder lang wieder abkommt. Ein innovatives Produkt auf den Markt zu bringen, ist gut. Die entscheidende Frage muss aber immer lauten: Wie und wo wirkt es?

* Dr. rer. nat. Dietmar Bäzold ist Dipl.-Chemiker und Senior Scientist am Institut für angewandte Biochemie (IABC)

Text: Dr. rer. nat. Dietmar Bäzold und Jürgen Kupferschmid Bild: AdobeStock

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