«`Messen – Machen – Messen´ – dann machen wir alles richtig»

Omega-3-Fettsäuren sind unverzichtbar – ohne ausreichende Spiegel können die Zellen nicht optimal funktionieren. Mit steigender Dosis kann das Risiko für Vorhofflimmern zunehmen. Experten halten es allerdings für minimal, solange der individuelle Bedarf gemessen wurde und kontinuierlich im Zielbereich liegt. Nicht die verabreichte Menge ist für den Körper entscheidend, sondern die funktionale Verfügbarkeit der supplementierten Substanzen.

Die Wirkung von Omega-3-Fettsäuren auf das Herz und Gefässsystem führt unter Experten regelmässig zu kontrovers geführten Debatten. Unter dem Titel „Fischölkapseln mit Nebenwirkungen“ sorgte eine vielfach publizierte Pressemitteilung erneut für Gesprächsstoff. Im Zentrum stand dabei eine Metastudie des Genfer Kardiologen Baris Gencer, der dafür u.a. den Forschungspreis 2022 der Schweizer Herzstiftung erhält. Mit dieser Arbeit wurde bestätigt, dass die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren mit steigender Dosis das Risiko für Vorhofflimmern – die häufigste Herzrhythmusstörung – erhöhen kann. Um sich dem erst gar nicht auszusetzen, wird schliesslich zum Verzicht von Fischölkapseln geraten und stattdessen der Verzehr von fettem Fisch empfohlen, dreimal pro Woche. Demgegenüber gerät eine der zentralen Aussagen ziemlich in den Hintergrund: „Die positive Wirkung hängt von der Art der Omega-3-Fettsäure und der Dosis ab.“

Standardisierte Messmethodik
Prof. Dr. med. Clemens von Schacky zählt zu den weltweit renommierten Experten auf diesem Gebiet. Bereits am 12. Internationalen Bodenseekongress im Jahr 2017 plädierte der Kardiologe und Forscher dafür, nach einem wissenschaftlich validierten Messverfahren zu klären, ob der individuelle Bedarf an Omega-3-Fettsäuren möglichst optimal gedeckt ist. In einer Stellungnahme weist er mit Nachdruck darauf hin, dass das Risiko für Vorhofflimmern massgeblich von den Spiegeln abhängt. Während es im Zielbereich des sog. HS-Omega-3 Index® minimal sei, steige es sowohl bei niedrigeren als auch bei höheren Spiegeln. Diese standardisierte Messmethodik genügt den höchsten Qualitätskriterien der klinischen Chemie und beruht auf einem Fundament von unzähligen von wissenschaftlichen Publikationen. Nach mehreren Millionen Messungen mit diesem Verfahren lassen sich sehr zuverlässige Aussagen zu den optimalen Spiegeln machen: „Wir sind der Ansicht, dass die Spiegel in roten Blutkörperchen gemessen und dass sie um 10% liegen sollten. Der Anteil von Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) – die beiden Omega-3-Fettsäuren aus dem Meer – sollte ungefähr 10% aller Fettsäuren ausmachen, also zwischen 8 und 11 bis 12% liegen. Nicht nur Herz und Gehirn funktionieren mit diesen Spiegeln am besten und am längsten, sondern auch weitere Organe, wie z.B. Muskeln, Leber und die Augen“, erklärt von Schacky. Auch das Risiko für Vorhofflimmern hält er in diesem Zielbereich für minimal.

Über- und Unterdosierungen vermeiden
Andreas Hefel, Präsident der Stiftung für Gesundheit und Umwelt (SfGU), ist ebenfalls ein vehementer Verfechter von bedarfsgerechten, d.h. individualisierten, Lösungen: „Wichtig ist, den HS-Omega-3 Index® zu messen und die Spiegel periodisch zu prüfen. Es ist wie beim Vitamin D – sowohl Über- als auch Unterdosierungen von Omega-3-Fettsäuren können schädlich sein. Wenn wir das Grundprinzip `Messen – Machen – Messen´ anwenden, dann machen wir alles richtig.“ Dabei weist er noch auf einen weiteren entscheidenden Aspekt hin: „Wer ausschliesslich Omega-3-Fettsäuren hochdosiert zuführt, der riskiert, in eine Dysbalance zu geraten. Um sie vor Oxidation zu schützen, benötigen wir auch die fettlöslichen Vitamine (E, D, K, A). Als Radikalfänger sind die wasserlöslichen Vitamine erforderlich (z.B. Vitamin C und B-Komplex) und für die Aktivierung der Enzyme z.B. Magnesium, Mangan, Kupfer, Zink und Selen. Ebenso noch Arginin, Q10 und Carnitin – erst dann kann es funktionieren.“ Dem Vorschlag, regelmässig dreimal pro Woche fetten Fisch zu verzehren, steht Hefel sehr skeptisch gegenüber. Dabei verweist er auf das prominente Beispiel Robbie Williams, der sich aufgrund seines einst hohen Fischkonsums eine Quecksilbervergiftung zuzog.

Funktional verfügbar
Mit Blick auf die Metastudie von Baris Gencer rechnet der dipl. Chemiker Blerim Krasniqi vor, dass der wöchentliche Verzehr von ca. 1,4 Kilogramm Fisch erforderlich wäre, um dessen Ernährungsempfehlung nachzukommen: „Dies entspricht den in der Studie betrachteten Zufuhrmengen von bis zu 4 Gramm EPA und DHA, was in Nahrungsergänzungsmitteln zulässig ist. Die wenigsten Menschen ernähren sich derart einseitig von Fisch.“ Für ihn kommt mit dieser Untersuchung zum Ausdruck, dass hohe Dosierungen nicht zwangsläufig auch eine hohe Wirkung entfalten müssen: „Der Bedarf an Omega-3-Fettsäuren ist individuell verschieden. Nur was funktional verfügbar ist, ist für den Körper relevant – nicht die verabreichte Menge. Eine Standarddosis für alle sowie eine Supplementation ohne Messung und Anamnese entspricht einer nicht mehr zeitgemässen Denkweise. Dies kann genau so schädlich sein, wie komplett auf Omega-3-Fettsäuren zu verzichten.“

Text: Jürgen Kupferschmid Bild: AdobeStock

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