„Es ist der Lebensstil, der die Menschen nachweislich krank macht“
«Es ist der Lebensstil, der die Menschen nachweislich krank macht»
Der Landkreis Heinsberg gilt als das Corona-Epizentrum in Deutschland. Dr. med. Rudolf Thissen* führt dort seit 44 Jahren seine eigene Hausarztpraxis. Statt sich in trügerischer Sicherheit eines noch nicht vorhandenen Impfstoffes zu wiegen, setzt der Allgemeinarzt auf andere Karten. Sein Appell: Sich aktiv um das Immunsystem kümmern sowie ein Leben lang etwas dafür tun, nicht selbst zur Risikoperson zu werden. Gegenüber einer passiven «All-inclusive-Mentalität» belohnt der Organismus Eigenverantwortung, Eigeninitiative, Eigenleistung und Durchhaltewillen.
Übergewicht, Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, etc. zählen zu den Hauptrisikofaktoren für eine COVID-19-Erkrankung. Welche Entwicklung konnten Sie in den vergangenen Jahrzehnten auf diesem Gebiet feststellen?
Dr. med. Rudolf Thissen: Patienten mit diesen Zivilisationsschäden bilden das zahlenmässig grösste, immer noch wachsende Kontingent in meiner Allgemeinpraxis. Die Entwicklung geht eindeutig in die falsche Richtung. Leider erweist sich das Gegensteuern, z. B. durch Aufklärung und Schulungsprogramme, als schwierig bis unmöglich. Das «gute» Leben ist eben so schön angenehm und bequem. Da lässt man sich die gute Laune nur ungern durch Ratschläge zu Ernährung und Bewegung eintrüben. Die negativen Folgen ungesunder Lebensführung projiziert man in eine – hoffentlich noch ferne – Zukunft. Eine Pandemie wie die zurzeit ablaufende erwischt Menschen mit dieser Einstellung natürlich auf dem «falschen Fuss». Da ist die ferne Zukunft dann plötzlich gefährlich nah.
Menschen werden zwar immer älter, bleiben durchschnittlich aber immer länger krank. Was ist zu tun, dass das Alter nicht zwangsläufig zu einem Risikofaktor wird?
Dr. med. Rudolf Thissen: Um das zu verhindern, ist jeder gefordert, möglichst frühzeitig Eigeninitiative zu ergreifen. Raus aus der Trägheit, rein in die körperliche Aktivität – z.B. Sport, Spazierengehen, Gartenarbeit. Kombiniert mit gesunder Ernährung und einem insgesamt achtsamen Verhalten, sind das die tragenden Säulen für ein gesundes Älterwerden. Mehrheitlich bekommen die Menschen das aber nicht auf die Reihe – schon gar nicht, bevor sie kalendarisch tatsächlich zur älteren Bevölkerung zählen. Neben den lebensstilbedingten beschleunigten Alterungsprozessen kommen vielfach auch die «echten» Altersbeschwerden hinzu, Coxarthrose, eine schmerzende Wirbelsäule, etc. Liegen dann noch ein Diabetes mellitus und/oder ein zu hoher Blutdruck vor, ist der Fettstoffwechsel gestört oder ein Organ von Krebs befallen, dann mehren sich die gesundheitlichen Risiken mit zunehmenden Lebensjahren. Sich solch einer Entwicklung bei guter Laune zu widersetzen, erfordert schon eine gewisse Willenskraft und vor allem Initiative. Diese Voraussetzungen bringt leider nicht jeder mit. Wollen Sie relativ gesund ein hohes Alter erleben, dann müssen Sie ein Leben lang aktiv etwas dafür tun. Das kann Ihnen definitiv keiner abnehmen.