«Die Individualisierung ist die Königsklasse»

Das Immunsystem ist täglich einer Vielzahl von Belastungen ausgesetzt. Gerät es aus der Balance, können sich seine Abwehrkräfte gegen den eigenen Körper richten. In den vergangenen Jahren ist eine rasante Zunahme von sog. Autoimmunerkrankungen zu beobachten – chronisch entzündliche Prozesse, die die Lebensqualität der Betroffenen einschränken. Im Interview mit «Meine Gesundheit» erläutert Dr. med. Simon Feldhaus, wie die Regulationsmedizin damit umgeht.

Herr Dr. Feldhaus, ein intaktes Immunsystem ist die Basis für eine robuste Gesundheit. Wie kann man sich dieses komplexe Abwehrsystem des Körpers vereinfacht dargestellt vorstellen?
Dr. med. Simon Feldhaus:
Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Land verteidigen. Es ist nicht falsch, zunächst einen Zaun zu bauen. Beim menschlichen Körper ist das nichts anderes – die Haut und die Schleimhäute stellen ebenfalls mechanische Schutzbarrieren dar. Das entspricht dem unspezifischen, angeborenen Immunsystem, das von Geburt an vorhanden ist. Doch bei einer komplexeren Bedrohungslage reicht dieser Schutz nicht mehr aus. Polizei-Spezialkräfte kommen zum Einsatz. Das ist mit der spezifischen, erworbenen Abwehr zu vergleichen, die ganz selektiv auf bestimmte Krankheitserreger reagiert. Beide Immunsysteme sind eng miteinander vernetzt. Damit verfügt der Körper über unglaublich viele Schutzmechanismen, um zwischen körpereigenen und körperfremden Zellen zu unterscheiden.

Umweltbelastungen fordern die körpereigene Abwehr zunehmend heraus. Welche Folgen kann dies für das Immunsystem haben?
Dr. med. Simon Feldhaus:
Es gibt sehr viele Umweltfaktoren, die von aussen auf den Körper einwirken und das Immunsystem belasten. Es ist höchstwahrscheinlich, dass sie z. B. die Ausprägung und den Schweregrad von sog. Autoimmunerkrankungen fördern, wenn nicht sogar deren Entstehung positiv beeinflussen. Dabei reden wir von ungefähr 60 verschiedenen Krankheitsbildern, die unter diesem Oberbegriff zusammengefasst werden – von Rheuma über Zöliakie bis hin zum Typ-1-Diabetes. Sie alle haben eines gemeinsam: Das eigene Immunsystem erkennt etwas als Feind, was gar kein Feind ist. Doch wir müssen ehrlich sein: Im Detail kennen wir die Entstehungsprozesse noch nicht genau.

Wie gehen Sie als Regulationsmediziner damit um?
Dr. med. Simon Feldhaus:
Im Zentrum steht die Frage: Was ist geschehen, dass das Immunsystem nicht mehr richtig zwischen körpereigenen und körperfremden Zellen unterscheiden kann? Dummerweise ist der Mensch kein Computer, weshalb es bei der Behandlung dieser vermehrt auftretenden Erkrankungen auch keine standardisierte Vorgehensweise geben kann. Als Regulationsmediziner fange ich bei jedem Patienten immer wieder bei Null an – ohne vorgefertigtes Schema. Das heisst: Bei jedem Menschen liegen individuell unterschiedliche Auslöser vor, die wir finden und individuell behandeln müssen. D. h.: Umweltfaktoren, wie z. B. Schwermetallbelastungen, sind zwar bekannt, doch die Reaktionen darauf fallen ganz verschieden aus. Wir nehmen an, dass Autoimmunerkrankungen z. B. auch durch Virusinfekte, eine Grippe, die Einnahme von Medikamenten oder eine Schwangerschaft ausgelöst werden können.

Welche Rolle spielt die Moderne Orthomolekulare Medizin in der Behandlung von Autoimmunerkrankungen?
Dr. med. Simon Feldhaus:
Die Moderne Orthomolekulare Medizin bildet die Basis für ganzheitliche Therapiekonzepte, ohne die ich nicht arbeiten könnte.

Liegt einer Autoimmunerkrankung z. B. eine bestimmte Form von oxidativem Stress zugrunde, der einen schwerwiegenden Einfluss auf das Immunsystem ausübt, dann muss ich mit Hilfe der Modernen Orthomolekularen Medizin zuerst diesen Stress wirksam behandeln.

Und das geht weder mit Spassdosierungen aus dem Segment der Nahrungsergänzungsmittel, noch mit einer Vielzahl von Einzelpräparaten. Und schon gar nicht mit einer einzelnen Substanz. Es ist lächerlich, damit beim komplexen Immunsystem eine Wirkung erzielen zu wollen. Dazu braucht es personalisierte Mikronährstoffmischungen, die in therapeutischen Dosierungen verabreicht werden können. Die Individualisierung ist die Königsklasse!

Wie unterscheidet sich die Regulationsmedizin damit von der konventionellen Medizin?
Dr. med. Simon Feldhaus:
Am Beispiel der Autoimmunerkrankungen lässt sich das Verständnis der Regulationsmedizin veranschaulichen: Der Körper reagiert auf Reize, die auf ihn treffen. Läuft die Reizreaktion auf Dauer nicht richtig ab, dann kann das zu Schwierigkeiten im menschlichen Organismus führen. Warum funktionieren Stoffwechselprozesse nicht oder anders als gewollt? Die Kunst der Regulationsmedizin besteht darin, solche Störungen zu beheben und die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Dabei halte ich z. B. auch die Störfeldsuche in der Zahnmedizin für elementar wichtig. So können z. B. Titanimplantate Autoimmunerkrankungen auslösen. Ich behandle keine Autoimmunerkrankung, ohne einen Zahnarzt beizuziehen – wer dies nicht tut, macht keine Regulationsmedizin.

Die Mandeln gelten als Wächter des Immunsystems. Sind sie chronisch entzündet, wird bei Kindern vielfach darüber diskutiert, sie zu entfernen. Wie stehen Sie dazu?
Dr. med. Simon Feldhaus:
Ärzte, die Kindern die Mandeln entfernen, haben das Ökosystem Mensch nicht verstanden. So eine Operation macht man nur dann, wenn es dringendst medizinisch notwendig ist – z. B. wenn jeden Monat eine Streptokokken-Infektion vorliegt, die mit Antibiotika behandelt werden muss, und es tatsächlich nicht gelingt, diesen Teufelskreislauf zu durchbrechen. Aber ansonsten? Im Leben nicht! In meiner Praxis ist das in den vergangenen 5 Jahren genau ein einziges Mal vorgekommen. Als Eintrittspforten-Grenze sind die Mandeln ein wichtiger Bestandteil des Immunsystems. Sind sie weg, dann haben die Betroffenen kein Halsweh mehr. Das bedeutet aber nicht, dass das gut ist. Die Infekte gehen dann eben ohne erste Vorwarnung in den Körper. Die Regulationsmedizin geht damit anders um, indem sie möglichen Ursachen auf den Grund geht: Warum entzünden sich die Mandeln immer wieder? Darauf eine Antwort zu finden ist besser, als sie herauszunehmen.

*Dr. med. Simon Feldhaus (Arzt für Naturheilverfahren und Regulationsmedizin) ist Präsident der Swiss Society for Anti Aging Medicine and Prevention (SSAAMP). Sie verfolgt das Ziel, die Lebensqualität in allen Phasen des Lebens zu optimieren. Weitere Informationen: www.ssaamp.ch

Interview: Jürgen Kupferschmid Bild: zVg

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