Ernährungstherapie kann schwere Komplikationen verhindern

Durch eine individualisierte Ernährung nehmen vielfach ältere Spitalpatienten u. a. mehr Proteine und Kalorien zu sich. Dadurch verbessern sich nicht nur die klinischen Ergebnisse der Behandlung, sondern es kommt auch zu einer signifikanten Verbesserung der alltäglichen Fähigkeiten und der Lebensqualität. Das zeigt eine Studie von Forschenden der Universität Basel und des Kantonsspitals Aarau, die in der Fachzeitschrift «The Lancet» publiziert wurde.

Mangelernährung? Auf den ersten Blick vielleicht kein Problem unserer westlichen Welt. Mit zunehmendem Wissen rund um Ernährung und Lifestyle sind aber Begriffe wie «Kalorienbedarf», «Proteingehalt» und «Mikronährstoffe» in aller Munde. Wie verhält es sich damit eigentlich in einer Gesellschaft, deren Anteil älterer und chronisch kranker Menschen immer grösser wird? Fakt ist: Häufig auf dem Boden chronischer Erkrankungen weisen 30 bis 50 Prozent der internistischen Patienten bei Spitaleintritt ein Risiko für Mangelernährung auf. Dabei handelt es sich um einen starken unabhängigen Risikofaktor für Komplikationen und erhöhte Sterblichkeit – insbesondere bei hospitalisierten Patienten der Inneren Medizin, die vielfach vorerkrankt sind. Damit ist Mangelernährung ein sehr bedeutender Krankheitsfaktor, auch von starker gesundheitsökonomischer und gesundheitspolitischer Relevanz.

EFFORT-Studie – warum der Aufwand?
Obwohl die Verschreibung von Ernährungstherapien zu den häufigsten Interventionen im medizinischen Alltag gehört, gab es bisher zu wenig Nachweise für ihre Wirksamkeit und auch keinen standardisierten Therapiealgorithmus für hospitalisierte, akut kranke medizinische Patienten. In verschiedenen Schweizer Spitälern wurde Mangelernährung unterschiedlich gehandhabt und die Ernährungstherapie nicht überall routinemässig durchgeführt. Es stellte sich also die wichtige Frage für den Spitalinternisten, ob Mangelernährung ein modifizierbarer Risikofaktor ist und durch eine Ernährungstherapie wirklich auch effektiv behandelt werden kann. Die vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte hochqualitative EFFORT-Studie (Begriffsklärung siehe unten) konnte die Frage beantworten, ob der Einsatz von individualisierter klinischer Ernährung den Krankheitsverlauf von internistischen Patienten mit einem erhöhtem Risiko für Mangelernährung positiv beeinflussen kann. Damit hat sie eine wichtige Lücke im Wissen zur Effizienz der Ernährungstherapie im Akutspital geschlossen.

Mikronährstoffziele definieren
Die Studie wurde in 8 schweizerischen Spitälern durchgeführt. Erwachsene, internistische Patienten wurden bei Spitaleintritt mit dem sog. Nutritional Risk Screening (NRS 2002) Score bezüglich Mangelernährungsrisiko untersucht (Definition siehe unten). Patienten mit einem NRS von mindestens 3 Punkten und einem erwarteten Spitalaufenthalt von 5 Tagen oder mehr kamen für die Teilnahme infrage. Die Patienten wurden dann per Zufall einer Ernährungstherapie (Interventionsgruppe) oder einer Kontrollgruppe mit Routine-Spitalernährung zugeteilt (randomisiert). Mit Hilfe von einem Ernährungsalgorithmus wurde bei Patienten der Interventionsgruppe während des Spitalaufenthaltes ein Ernährungsplan erstellt, der u. a. auch die individuellen Kalorien- und Eiweissziele enthält. Ebenfalls wurden Mikronährstoffziele definiert sowie eine Substitution mit Multivitaminen und Mikronährstoffen installiert. Um diese Ziele zu erfüllen, haben Ernährungsberaterinnen gemeinsam mit den Patienten eine Ernährungsstrategie entwickelt. Dies hat einerseits auf der Spitalküche basiert mit Zwischenmalzeiten und angereicherter Kost. Bei einem grossen Teil der Patienten war darüber hinaus der Einsatz von Trinknahrung nötig, insbesondere um die Eiweissziele zu erreichen. Die Nahrungsaufnahme wurde täglich reevaluiert.

Individuelle Ernährung zeigt Nutzen
Insgesamt wurden im Rahmen der EFFORT- Studie 2 028 Patienten evaluiert. Die häufigsten Gründe der Hospitalisierung waren Herz-Kreislauferkrankungen, Infektionen und Krebserkrankungen. Die Resultate der Studie sind sehr eindrücklich:

  1. Die Mehrzahl der Patienten konnte ihre Ernährungsziele mit dem Ernährungsalgorithmus erreichen.
  2. Verglichen mit der Kontrollgruppe war das Risiko in der behandelten Gruppe, eine schwere Komplikation zu erleiden, deutlich geringer.
  3. Zudem wurden in der Gruppe mit individualisierter Ernährung nach 30 Tagen auch weniger Todesfälle beobachtet.
  4. Ebenfalls hat die Ernährungstherapie eine signifikante Verbesserung der alltäglichen Fähigkeiten und der Lebensqualität gezeigt.

Diese positiven Effekte waren stabil in verschiedenen Patientengruppen. Patienten mit einer bekannten chronischen Nierenschwäche haben besonders stark von der Ernährungstherapie profitiert. Sie hat zudem positive Effekte auf die Überlebensrate, die Lebensqualität und funktionelle Einschränkungen. Damit ist sie vielen anderen therapeutischen Interventionen stark überlegen. Die Studie beweist somit die Richtigkeit des vor mehr als 2 000 Jahren aufgestellte Aphorismus von Hippokrates von Kos (460–377 v. Chr.), wonach der Arzt Krankheiten durch Diät vorbeugen, bzw. sie durch Diät heilen soll. Nach seinem Verständnis ging die Diätetik über die Nahrungsaufnahme hinaus und hatte das Ziel, die Gesundheit und Lebensqualität durch die allgemeine Lebensführung individuell zu optimieren.

NRS-Score (Nutritionale Risk Screening Score)
Der NRS-Score berechnet das Mangelernährungsrisiko. Miteinbezogen werden z. B. BMI (Body mass index), Gewichtsverlust, Appetit, Nahrungsaufnahme, Alter und das Krankheitsbild.

EFFORT-Studie
Bei der EFFORT-Studie handelt es sich um die bislang grösste Studie zur Wirksamkeit einer ernährungsmedizinischen Betreuung im Krankenhaus. EFFORT steht für: Effect of Early Nutritional Therapy on Frailty, Functional Outcomes and Recovery of Undernourished Medical Inpatients Trial.

Text: Marlena Müller* und Prof. Dr. med. Philipp Schütz** Bilder: Kantonsspital Aarau, Konstantin Maslak

* Marlena Müller arbeitet als Assistenzärztin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Allgemeinen Inneren und Notfallmedizin des Kantonsspital Aarau. Unter der Leitung von Prof. Dr. med. Philipp Schütz widmet sie sich ihrem Interessengebiet, der Ernährungsforschung.

** Prof. Dr. med. Philipp Schütz ist Chefarzt für Innere Medizin am Kantonsspital Aarau und ist sehr interessiert am Gebiet der Individualisierten Ernährungstherapie. Er ist Hauptprüfer der EFFORT-Studie, die 2019 in der Fachzeitschrift «The Lancet» publiziert wurde und grosses Medieninteresse ausgelöst hat.

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