Wie riskant ist Handy-Strahlung?
«Wie riskant ist Handy-Strahlung?» –
Bericht von Stiftung Warentest in der Kritik
Während tausende Demonstranten in Berlin und Bern gegen den neuen Mobilfunkstandard 5G auf die Strasse gehen, sieht Stiftung Warentest kaum Grund zur Sorge vor möglichen Gesundheitsschäden durch Handystrahlung. Im Interview mit salusmed.ch geht der Physiker und Politiker Prof. Dr. Klaus Buchner* darauf ein, warum er sich gegen einen entsprechenden Bericht der Verbraucherschutzorganisation zur Wehr setzt.
Herr Prof. Buchner, für wie aussagekräftig halten Sie den «Faktencheck» von Stiftung Warentest (9/2019 test) aus Sicht des Verbraucherschutzes?
Prof. Dr. Klaus Buchner: Der sog. «Faktencheck» von Stiftung Warentest über mögliche Gesundheitsschäden durch Handystrahlung ist insgesamt sehr oberflächlich und lückenhaft geschrieben. Einige Aussagen halte ich aus meiner fachlichen Perspektive schlichtweg für falsch. Deshalb habe ich auch eine Erwiderung an diese Verbraucherschutzorganisation geschrieben, die als gemeinnützige Stiftung in staatlichem Auftrag arbeitet und mit Steuermitteln gefördert wird. Daraus hat sich mittlerweile ein Schriftwechsel entwickelt. So einfach, wie die Dinge in dem Bericht dargestellt werden, sind sie in Tat und Wahrheit leider nicht. Beim Thema Mobilfunkstrahlung – einem Teilgebiet von elektromagnetischer Strahlung – haben wir es mit einem komplexen Sachverhalt zu tun. Dessen Beurteilung hängt von sehr vielen Faktoren ab, denen Menschen im Alltag zeitgleich ausgesetzt sind.
Können Sie Ihre Kritik an einer konkreten Aussage aus dem Bericht verdeutlichen?
Prof. Dr. Klaus Buchner: Die Stiftung Warentest schreibt u.a., dass nur 4 Prozent der Mobilfunkstrahlung, die das Gehirn abbekomme, aus «körperfernen Quellen» stamme, wie zum Beispiel Sendemasten. Die Vermeidung potenzieller Gesundheitsrisiken deshalb auf die Schlagzeile «Handy am Ohr – Abstand wahren» zu reduzieren, greift allerdings viel zu kurz und blendet wissenschaftliche Erkenntnisse aus. Auch diese 4 Prozent haben nachweislich einen Einfluss auf den Organismus – ergänzend zu den vergleichsweise kurzen Augenblicken, in denen mit dem Handy telefoniert wird. Aus einer eigenen Langzeitstudie, die ich zusammen mit Dr. med. Horst Eger erstellt habe, wissen wir, dass Mobilfunksendeanlagen (D1) bei bestimmten Personengruppen einen Einfluss auf klinisch bedeutsame Neurotransmitter haben können, wie z.B. Dopamin, Phenylethylamin (PEA) sowie die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin.
Wie kam diese Studie zustande, was wurde untersucht und zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Prof. Dr. Klaus Buchner: Diese Studie ist einem Zufall zu verdanken: In dem staatlich anerkannten Erholungsort Rimbach im Bayerischen Wald gab es bis Anfang 2004 nur sehr wenig Funkbestrahlung. Als dort zwei Mobilfunksendeanlagen (D1) errichtet werden sollten, reagierte die Besitzerin einer Privatklinik, die dort lebte: Noch vor Inbetriebnahme der Sender wurde bei 60 Bewohnern im Alter zwischen zwei und 68 Jahren im Urin der Gehalt an Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin und Phenylethylamin (PEA) bestimmt. Drei weitere Vergleichsmessungen fanden dann nach Inbetriebnahme der Anlagen statt. Im Untersuchungszeitraum (Januar 2004 bis Juli 2005) kam es unter dem Einfluss modulierter hochfrequenter Felder zu signifikanten Veränderungen im Neurotransmitterhaushalt der Probanden. Dass die Mikrowellenbelastung der neu errichteten Sender zu einer Erschöpfung der biologischen Regulationsmechanismen führen kann, war für uns ein sehr erschreckendes Ergebnis.
Wie haben sich die gemessenen Laborwerte verändert und welche Rückschlüsse auf die Gesundheit konnten daraus gezogen werden?
Prof. Dr. Klaus Buchner: Betrachten wir die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin. Einem deutlichen Anstieg dieser Werte in den ersten 6 Monaten nach Einschalten der Mobilfunksendeanlagen folgte ein Absinken auf ein normales Level. Dies war im wesentlichen bei Kindern und Probanden zu beobachten, die bereits von einer chronischen Erkrankung betroffen waren. Wie ist diese Erkenntnis einzuordnen? Dieser Rückgang auf Normalniveau ist als Alarmzeichen zu verstehen: Die Abwehrmechanismen des Körpers funktionierten nicht mehr! Damit konnten wir mit dieser Verlaufskontrollstudie den wissenschaftlichen Nachweis erbringen, dass sehr wohl auch körperferne Quellen von Mobilfunkstrahlung einen gesundheitsrelevanten Effekt auf den Organismus haben können – auch wenn sie nach Aussagen von Stiftung Warentest nur 4 Prozent der Mobilfunkstrahlung ausmachen, die das Gehirn abbekommt.
Stiftung Warentest widmet sich in ihrem «Faktencheck» auch dem Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes. Demnach sind grosse Veränderungen zunächst kaum zu erwarten. Wie stehen Sie zu dieser Einschätzung?
Prof. Dr. Klaus Buchner: Die fünfte Mobilfunkgeneration 5G bringt für den Nutzer eine wesentliche Änderung mit sich, die Stiftung Warentest ihren Leserinnen und Lesern leider vorenthält. Das häufig gebrauchte Argument, wonach mehr Basisstationen zu einer insgesamt geringeren Strahlenbelastung führen, bedarf einer genaueren Betrachtung: Die höhere Informationsdichte und die Datenübertragung in Echtzeit bringen eine erhöhte Strahlungsintensität mit sich. An den politischen Diskussionen über eine Erhöhung der Strahlungs-Grenzwerte, die in vielen Ländern geführt wird, ist dies unschwer zu erkennen. Bei 5G werden die Strahlen allerdings auf das Empfangsgerät gerichtet – sei es nun das 5G-Handy oder das autonom fahrende Auto. Während die Antennen dadurch insgesamt tatsächlich weniger strahlen, wird der einzelne Nutzer aber einer deutlich höheren Strahlendosis ausgesetzt, die in konzentrierter Form bei ihm persönlich ankommt.
Handystrahlung ist eine von vielen Einflussgrössen, die unter dem landläufig verwendeten Begriff «Elektrosmog» zusammengefasst werden. Ist es ausreichend, bei der Beurteilung möglicher Gesundheitsschäden durch elektromagnetische Felder (EMF) ausschliesslich den Mobilfunk in den Fokus zu nehmen?
Prof. Dr. Klaus Buchner: Die Belastung durch elektromagnetische Felder geht weit über dieses Thema hinaus. Zur Beurteilung möglicher Gesundheitsschäden sollte deshalb berücksichtigt werden, dass der sog. «Elektrosmog» ein Cocktail aus unterschiedlichen Strahlen, Wellen und Feldern ist, die miteinander in Wechselwirkung treten. In Miethäusern ist dies sehr deutlich zu erkennen – dort wird die Belastung durch elektromagnetische Strahlung immer schlimmer. Weil jeder Haushalt sein W-LAN und Schnurlos-Telefon haben will, sind die Wohnungen häufig sehr stark verstrahlt. Zur Risikobeurteilung lohnt es sich, einen Baubiologen zu Rate zu ziehen, der qualifizierte Messungen vornimmt. Anhand der Messwerte können dann gezielte Massnahmen zur Abschirmung und Entstörung getroffen werden.
* Professor Dr. rer. nat. Dr. habil. Klaus Buchner studierte Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität sowie der Technischen Hochschule in München. Ab 1965 arbeitete er u.a. am Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik in München sowie am europäischen Forschungszentrum CERN in Genf. Von 1973 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2006 war Klaus Buchner Dozent und Professor an der mathematischen Fakultät der TU München. 1983 trat er der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) bei und wurde bei der Europawahl am 25. Mai 2014 zum Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt. Seit Ende der 90er-Jahre zählt Mobilfunk-Strahlung zu seinen Schwerpunktthemen.
Weitere Informationen: klaus-buchner.eu
Interview: Jürgen Kupferschmid
Bilder: AdobeStock, Simone Lettenmayer