Sekundäre Pflanzenstoffe – Hoffnung in der Behandlung von Multimorbiditäts-Erkrankungen

Aus systemtheoretischen Überlegungen1 gibt es bei der Ausprägung von chronischen Krankheiten enge Korrelationen zwischen Symptomen und Erkrankungen. Diese Korrelationen verlaufen jedoch nicht linear und einseitig, sondern unterschiedliche Krankheiten können sich gleiche Gene, Proteine und Signalelemente mit anderen Krankheiten teilen. Damit wird bereits auf dieser Stufe die multifaktorielle Verschaltung von Signalwegen und Signalnetzwerken und deren Beeinflussung bei metabolischen Erkrankungen sichtbar. Dies eröffnet die Basis für neue Behandlungsstrategien und das Bild, dass die Behandlung multifaktoriell ausgelöster Krankheiten mit Monosubstanzen strategisch zielführend behandelbar ist, muss neu überdacht werden.

Am Beispiel von Krebserkrankungen wurde das Ausmass unterschiedlich betroffener Funktionsebenen (unkontrolliertes Wachstum, Blockade der Apoptose, Induktion der Angiogenese, Metastasierung u. a. m.), durch Hanahan & Weinberg im Jahre 2011 in der Übersichtsarbeit «Hallmarks of Cancer»2 eindrucksvoll erhoben und zusammengefasst. Das Zusammenspiel unterschiedlicher zellulärer Ereignisse verdichtet den Grad der Robustheit von Tumorzellen und erschwert deren Behandlung. Gibt es aus diesem Dilemma einen Ausweg? Sekundäre Naturstoffe stellen eine Bereicherung des therapeutischen Handelns bei chronischen Entzündungserkrankungen und Krebs dar, können jedoch derzeit die Behandlungslücke nur partiell schliessen. Ihre Multitarget-Funktionen ermöglichen zwar breite pharmakologische Wirkungen, diese werden jedoch von möglichen Nebenwirkungssignaturen begleitet. Was nötig ist, sind effektive Testverfahren, welche diese Wirkmuster aufklären, um die Sinnhaftigkeit der Behandlungsregime zu beschreiben. Die Wissenschaftsrichtungen Nutrigenomic und Pharmakogenomic eröffnen hier neue Beobachtungskriterien, um multifaktorielle pleiotrope Wirkmuster zeitnah zu erfassen. Die moderne molekular orientierte Medizin muss die Scheu im Umgang mit Naturstoffen aufgeben und sich der Aufklärung der multitarget-orientierten Wirkmuster widmen. Genom-weite Funktionsstudien sind bereits seit zwei Jahrzehnten in der Medizin etabliert. In Kombination mit neuen bildgebenden Verfahren der Zelloptik und KI-basierten bioinformatischem Data-Miming liefern sie die Targets- und Therapieansätze der Zukunft.

Epidemiologische Studien deuten darauf hin, dass über die Nahrung verabreichte sekundäre Pflanzenstoffe eine ausreichende hohe Bioverfügbarkeit erreichen und mit einem verringerten Risiko für Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs verbunden sind. Tee3, Kaffee und Kakao4 sowie Obst und Gemüse sind reich an phytotherapeutischen Polyphenolen, einer komplexen Stoffgruppe, die aufgrund ihrer antioxidativen Eigenschaften grosses Interesse geweckt hat und somit potenziell positive Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat. Es ist evident, dass die Entstehung und das Fortschreiten von Krebs das Ergebnis genetischer und/oder epigenetischer Veränderungen ist. Sekundäre Pflanzenstoffe greifen hier aktiv in Methylierungs und Acetylierungs Modifikationen (Histon-/Nicht-Histon-Proteinmodifikation) ein und spielen bei der epigenetischen Regulierung der Genexpression eine grosse Rolle.5 Die Erkenntnisse dazu muss man sich zu Nutze machen, um den Anteil der Nahrung an der Verhinderung von Krebserkrankungen beschreiben zu können. Diese Erkenntnisse werden Naturstoffen in der Behandlung chronisch verlaufender, multifaktorieller Erkrankungen ihren wichtigen Platz einräumen.

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Kommentar aus Sicht der SfGU:
«‹Machen Mischungen therapeutisch Sinn?› Diese Frage lässt sich mit einem klaren JA beantworten. Am Beispiel der Tibetischen Medizin wurde sehr schön aufgezeigt, dass es Synergien gibt, die genutzt werden können. Auch die Regulations- und Moderne Orthomolekulare Medizin verfolgt schon seit längerer Zeit das Ziel, durch Kombinationen Synergien zu nutzen, z. B. durch das Verhältnis von Kupfer zu Zink. Das gilt auch für den Einsatz von sekundären Pflanzenwirkstoffen, z. B. durch die Kombination von Vitamin C und Grüntee-Extrakt. Sekundäre Pflanzenstoffe können nur dann wirken, wenn auch die Co-Faktoren entsprechend wirken können. Enzyme funktionieren nur dann, wenn der Bedarf an Mineralien, wie z. B. Zink und Selen, gedeckt ist. So finden die Phytomedizin und die Moderne Orthomolekulare Medizin allmählich zusammen. Weder das eine, noch das andere macht für sich alleine glückselig. Vielmehr geht es darum, das Potenzial zu nutzen, das sich aus den Kombinationen ergibt. In Zukunft wird das noch grossen Forschungsaufwand mit sich bringen, was zu einem erweiterten Denken führt. Unterschiedliche Wirkprinzipien miteinander zu kombinieren, kann erhebliche Vorteile bieten, auch zur Verbesserung der Stoffwechselwege auf epigenetischer Basis.»

Andreas Hefel, Präsident der SfGU

Univ. Prof. Mag. Dr. PhD. Florian Überall
Informationszentrum für Tibetische Medizin (Telfs, Tirol)

Kernthese Nr. 1:
Sekundäre Naturstoffe stellen eine Bereicherung des therapeutischen Handelns bei chronischen Entzündungserkrankungen und Krebs dar.

Kernthese Nr. 2:
Nutrigenomic, Phytopharmakogenomic, moderne Massenspektrometrie und KI-basiertes Data-Mining sind jene Methoden, welche geeignet erscheinen, um den Einsatz von Naturstoff en zellbiologisch abzusichern.

Literatur 1 Zhou X, Menche J, Barabási AL, Sharma A. Human symptoms-disease network. Nat Commun. 2014 Jun 26;5:4212. doi: 10.1038/ncomms5212. PMID: 24967666. 2 Hanahan D, Weinberg RA. Hallmarks of cancer: the next generation. Cell. 2011 Mar 4;144(5):646-74. doi: 10.1016/j.cell.2011.02.013. PMID: 21376230. 3 Khan N, Mukhtar H. Tea Polyphenols in Promotion of Human Health. Nutrients. 2018 Dec 25;11(1):39. doi: 10.3390/nu11010039. PMID: 30585192; PMCID: PMC6356332. 4 Becker K, Geisler S, Ueberall F, Fuchs D, Gostner JM. Immunomodulatory properties of cacao extracts – potential consequences for medical applications. Front Pharmacol. 2013 Dec 12;4:154. doi: 10.3389/fphar.2013.00154. PMID: 24376420; PMCID: PMC3859901. 5 Kim E, Bisson WH, Löhr CV, Williams DE, Ho E, Dashwood RH, Rajendran P. Histone and Non-Histone Targets of Dietary Deacetylase Inhibitors. Curr Top Med Chem. 2016;16(7):714-31. doi: 10.2174/1568026615666150825125857. PMID: 26303421; PMCID: PMC5087604.

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