Einblicke in die psychoneuroimmunologische Biomarker-Forschung: 
Mitochondrienfunktion und Membransteifigkeit

Die gesundheitlichen Konsequenzen von chronischem und traumatischem Stress stellen eine stetig wachsende sozioökonomische Belastung dar. Problematisch für das Gesundheitssystem ist, dass die biomolekularen Prozesse, anders als ätiologische Faktoren für Risiko und Resilienz gegenüber Stressbelastungen, schlecht verstanden sind. Als Folge fehlen sowohl Biomarker für die Ätiologie (Prädiktion), Manifestation (Prävention) als auch für die Behandlung (personalisierte Medizin) psychiatrischer Erkrankungen. Die psychoneuroimmunologische (PNI) Forschung konnte vielversprechende Ansätze für die Identifikation klinisch-nutzbarer Marker liefern. Als interdisziplinärer Forschungsbereich betrachtet die PNI das Wechselspiel von Gehirn, Psyche und Immunsystem.

Ein Ansatz für einen Perspektivwechsel ist dabei das Verständnis, wie der Organismus systemisch auf Stress reagiert. Stress wird neu verstanden als die Notwendigkeit des Körpers, Energie zu verbrauchen. Die Energieproduktion des Körpers wird primär von Mitochondrien bereitgestellt, den 
sogenannten Kraftwerken der Zellen. Mitochondrien fungieren als biologische Batterien, deren elektrochemisches Potential in biochemische Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP) umgesetzt wird. Forschung im Bereich der PNI konnte nachweisen, dass Immunzellen depressiver PatientInnen eine im Vergleich zu Immunzellen gesunder Personen signifikante Reduktion in der mitochondrialen Energieproduktion zeigen, die zudem auch mit der Schwere der depressiven Symptomatik korreliert. Diese Reduktion geht allerdings nicht auf „dysfunktionale“ Mitochondrien zurück, wie der Eindruck zunächst vermuten lässt. Unter Berücksichtigung der mitochondrialen Dichte – definiert über die Anzahl und Verteilung des mitochondrialen Netzwerks innerhalb der Zellen – zeigte sich ebenfalls eine signifikante Reduktion, die die mitochondrialen Unterschiede von Depression im Vergleich zu gesunden Personen aufhebt und so erklärbar macht.

Erste Studien von Karabatsiakis und Kollegen zu den Behandlungseffekten der Depression auf Mitochondrienfunktion und Dichte in Immunzellen lassen vermuten, dass signifikante Verbesserungen auf Ebene der Membranintegrität beginnen, die durch die mitochondriale Überproduktion von sogenannten freien Radikalen (reactive oxygen species, ROS) ebenfalls belastet wird.

Forschung zu den Effekten von psychischen Belastungen und psychiatrischen Erkrankungen auf die Gesundheit – auch über die Lebensspanne – muss nun intensiviert werden. Als Konsequenz müssen die Befunde in Immunzellen nun auch auf andere funktionelle Systeme des Körpers erweitert werden, darunter das Gehirn als Zentrum von Prozessen wie Kognition, Emotion und Gedächtnis.
Mit dem mitochondrialen Energiestoffwechsel und der Regulation der Mitochondriendichte leiten sich somit zwei vielversprechende, klinisch-applizierbare Biomarker-Kandidaten ab, die einen gänzlich neuen Mechanismus für Stress-assoziierte Beeinträchtigungen des Körpers aufzeigen.

Ass. Prof. Dr. rer. nat. Alexander Karabatsiakis
Institut für Psychologie der Universität Innsbruck

Die beobachtete Veränderung der Membranintegrität hat weitere interdisziplinäre Forschung stimuliert. Jüngste Studien zu biophysikalischen Stress-Konsequenzen zeigen, dass Immunzellen depressiver Patientinnen eine signifikante Versteifung ihrer Zellmembranen aufweisen, die massgeblich verantwortlich sein könnte für viele Prozesse, die für die Depression als pathophysiologisch relevant gelten. Dazu zählen eine veränderte Neurotransmitter-Kinetik sowie jegliche Prozesse, die ebenfalls über die Zellmembran prozessiert und reguliert werden. Auch hier zeigte sich, dass der Versteifungsgrad der Zellmembranen in Abhängigkeit steht zur depressiven Symptomschwere, was die Frage möglicher Interventionen zur Regeneration und Normalisierung der Zellmembran-Integrität aufwirft. Hier scheint unter anderem der Faktor gesunde Ernährung einen wichtigen Beitrag leisten zu können, die Veränderungen der Zellmembran-Fluidität zu kompensieren und bestenfalls zu regenerieren. Besondere Bedeutung hierfür tragen ungesättigte Fettsäuren, die die Membranfluidität erhöhen und somit die Funktionalität der Zellmembran gewährleisten. Inwiefern sich die Beobachtungen auch an Membranen anderer Körperzellen nachweisen lassen, ist Stand aktueller Forschung.

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Kommentar aus Sicht der SfGU:
„Stressbelastungen betreffen uns alle und nicht nur eine Minderheit in der Bevölkerung. Insbesondere die einschränkenden Massnahmen haben seit 2020 dazu geführt, dass Stress und psychische Probleme weltweit zugenommen haben. Die starke Zunahme der Suizidversuche von Jugendlichen verdeutlicht, wie gross die Herausforderung und wie dramatisch die momentane Situation sich darstellt. Heute wissen wir, dass auch solche psychischen Belastungen an nachfolgende Generationen zu deren Nachteil weitergegeben werden. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Die Forschung und Untersuchungen von Ass. Prof. Dr. rer. nat. Alexander Karabatsiakis und seinem Team an der Universität in Innsbruck sind besonders wertvoll. Soweit uns bekannt, wurde Stress erstmals mit einem erhöhten Energiebedarf in Zusammenhang gebracht. Kann dieser erhöhte Energiebedarf nicht durch eine ausreichende Aktivität der Mitochondrien gedeckt werden, kommt es zu Erschöpfungszuständen – zum Beispiel im Gehirn, gefolgt von Depression, was eine Folge von einem Trauma sein kann. Diese Erklärung wird auch von ganz anderer Seite bestätigt, z.B. mit Blick auf das Thema Mobilfunkstrahlung. Eigene Untersuchungen (siehe SfGU-Studien) und neu auch an der Universität in Lübeck zeigten, dass durch Handystrahlung (EMF-Strahlung) Gehirnzellen in messbaren (EEG-Messungen) Stress versetzt werden. Dadurch wird u.a. die Lust auf Kohlenhydrate (Zucker) durch erhöhte Mitochondrienaktivität angekurbelt, was längerfristig zu Stoffwechselstörungen (z.B. Diabetes, silent inflammation) und Übergewicht führen kann.“

Andreas Hefel, Präsident der SfGU

Kernthese Nr. 3:
Die Erforschung psychiatrischer Erkrankungen wie der Depression profitiert von der systemischen Betrachtung gesamtkörperlicher Veränderungen, statt sich primär auf das zentrale Nervensystem zu fokussieren. Die Psychoneuroimmunologie kann hierfür sehr wertvolle Erkenntnisse liefern, auch für eine ganzheitliche Perspektive auf die gesundheitlichen Konsequenzen der Depression.

Kernthese Nr. 4:
Die Psychoedukation von PatientInnen mit psychiatrischen Erkrankungen zu den biologischen Mechanismen von Stress und dessen Konsequenzen kann Stigma, Vorurteil und Vorbehalt reduzieren und dadurch ein wichtiger Schlüssel für Prävention und verbesserte Therapieeffizienz sein.

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