Digitaler Stress: «Es ist höchste Zeit, aufzuwachen!»

Digitale Technologien und Kommunikationsmittel sind allgegenwärtig. Die Folge: Digitaler Stress. Dieses Phänomen hat in den vergangenen zehn Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, Tendenz steigend. Der österreichische Technostress-Experte Prof. Dr. René Riedl will mit seinem neuen Buch eine breite Debatte anstossen: Welche gesundheitlichen Gefahren gehen davon aus und welche Massnahmen zur Stressbewältigung haben sich bewährt?

Die Digitalisierung birgt die Potenziale der Zukunft. In ungeahntem Ausmass sind die digitalen Technologien zu den ganz grossen Gewinnern des Jahres 2020 geworden. In Zeiten umfassender Kontaktbeschränkungen steht ihr Nutzen ausser Zweifel – beruflich, privat und im Schulungsbereich. Damit geht allerdings auch ein wachsendes Risiko einher, das René Riedl (Professor für Digital Business und Innovation an der FH Oberösterreich und assoziierter Universitätsprofessor an der Universität Linz) intensiv erforscht: «Der digitale Stress hat im letzten Jahrzehnt massiv an Bedeutung gewonnen. Hierbei handelt es sich um ein weit verbreitetes Phänomen, das einen Grossteil der Menschen betrifft.»

Stress wirksam bewältigen
Bei der Vorstellung seines Buches «Digitaler Stress – wie er uns kaputt macht und was wir dagegen tun können» warnte er eindringlich vor ernsthaften Gefahren für die gesellschaftliche Gesundheit, das Wohlbefinden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Sein Appell: Es gilt, die breite Öffentlichkeit über die «Nebenwirkungen» der digitalen Technologien zu informieren sowie erprobte Massnahmen zur Stressbewältigung in den Alltag zu integrieren. Dabei betrachtet der Wirtschaftsinformatiker Ansätze unterschiedlichster Bereiche (technikbasiert, aber auch organisational wie E-Mail-Regeln) als Teil eines umfassenden «Digital Stress Managements»: «Digitaler Stress sollte ganzheitlich gesehen werden.» Um Benutzerstress wirksam zu bewältigen, lenkt er den Fokus deshalb auch auf «Die Fantastischen Vier» – eine Kombination aus Bewegung, richtiger Ernährung, Achtsamkeit und dem Verbringen von möglichst viel Zeit in der Natur. Wer sein Leben auf diesen vier Säulen der Gesundheit gestaltet, wirkt aktiv auf Stress und seine Folgen ein. In diesem Zusammenhang weist Riedl auf den entscheidenden Steuerungsmechanismus des vegetativen Nervensystems hin – das Zusammenspiel zwischen Sympathikus und Parasympathikus. Es funktioniert nur dann perfekt, wenn Stress und Regeneration stets in einer optimalen Balance gehalten werden können.

«Schutzschilder aufbauen»
Indem der Sympathikus aktiviert wird, wirkt sich die Interaktion mit digitalen Technologien unmittelbar auf körperliche Prozesse aus. Dazu nennt der Autor zahlreiche Beispiele – ein Anstieg von Herzschlag, Atmung und Blutdruck, die Reduktion der Herzratenvariabilität sowie die Freisetzung von Stresshormonen wie Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol. Diese signifikanten Effekte sind anhand vieler Studien belegt. Auf einer breiten wissenschaftlichen Basis zeigt René Riedl auf, dass langfristig negative Gesundheitsfolgen drohen, wenn keine «Schutzschilder» gegen digitalen Stress aufgebaut werden. Dabei kritisiert er das nach wie vor mangelnde Problembewusstsein in der Gesellschaft sowie die unzureichende Auseinandersetzung mit wirksamen Lösungsstrategien: «Da digitale Technologien Wirtschaft und Gesellschaft immer weiter durchdringen und Menschen mit ihren körperlichen Voraussetzungen zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen immer mehr an ihre Grenzen stossen, ist es höchste Zeit, aufzuwachen!»

1

Bewegung
Gross angelegte Studien belegen eindeutig, dass Bewegung und sportliche Aktivität die negativen Konsequenzen von Stress wirksam reduzieren, u. a. verringern sie die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Angsterkrankungen, Depressionen und verbessern die Immunfunktion.

2

Ernährung
In der Fachliteratur werden Nährstoffempfehlungen bei Stress gegeben, um das aus dem Lot gekommene Gleichgewicht wieder herzustellen. In einem von Professor Michael Zimmermann, Mediziner und Ernährungsexperte an der ETH Zürich, mitverfassten Buch werden folgende Nährstoffe bei «Stress und Burnout» empfohlen:

Vitamin-B-Komplex
→ erhöhter Bedarf bei ausgeprägter Aktivität und Stress

Vitamin C
→ wird bei Stress vermehrt verbraucht
→ nivelliert die Stressreaktion des Körpers
→ reduziert u. a. die Ausschüttung von Kortisol

Magnesium
→ erhöhter Bedarf bei ausgeprägter Aktivität und Stress
→ hat spannungslösende Wirkung

Zink
→ wird bei Stress vermehrt verbraucht
→ kann die Reaktion des Körpers auf Stress modifizieren L-Ornithin
→ senkt Stresshormone
→ kann bei Erschöpfung und Stress die Schlafqualität verbessern

Omega-3-Fettsäuren
→ beeinflussen sowohl das Herz-Kreislauf-System als auch das Nervensystem in günstiger Weise

Coenzym Q10
→ Antioxidans, also eine chemische Verbindung, die eine Oxidation anderer Substanzen verhindert oder verlangsamt
→ ist im Körper somit ein Radikalfänger
→ kann daher das Altern sowie die Entstehung von Krankheiten verhindern oder verlangsamen
→ reguliert zudem Herz-Kreislauf-Funktionen
→ hängt mit dem Energiestoffwechsel zusammen

3

Achtsamkeit
Die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion – englisch Mindfulness-Based Stress Reduction, MBSR – ist ein Verfahren zur Stressbewältigung. Wesentliche Elemente des Programms sind: Einübung achtsamer Körperwahrnehmung, achtsames Ausführen diverser Yogastellungen, Kennenlernen und Einüben des «stillen Sitzens», achtsames Ausführen langsamer Bewegungen und Aufrechterhaltung der Achtsamkeit auch bei alltäglichen Verrichtungen.
(Informationen: mbsr-verband.de)

4

Natur
Wenn wir nun heute in unseren modernen Umgebungen gestresst sind und die Möglichkeit haben, in die Natur zu kommen, um dort Bäume und Grünflächen wahrzunehmen, dann bewirkt dies den Rückgang von Stress. Eine solche Reaktion ist in uns veranlagt, der Stressrückgang tritt innerhalb sehr kurzer Zeit ein, oftmals in wenigen Minuten.

Mehr über diese Bewältigungsstrategien, Studienergebnisse und Praxiserkenntnisse finden sich im Buch des Technostress-Experten René Riedl: «Digitaler Stress – wie er uns kaputt macht und was wir dagegen tun können» (Linde Verlag)

Weitere Informationen: digital-stress.info

Text: Jürgen Kupferschmid Bilder: Kerriephotography.at, Linde Verlag

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