Die Bedeutung des Kausystems und des Mundraums für die Regulationsmedizin

Es kommt nicht nur auf die Summe von äusseren Reizen und Stressoren an, die auf den Menschen einwirken. Entscheidend sind die Regulationsfähigkeiten des Körpers. Je besser sie funktionieren, desto mehr Möglichkeiten sind gegeben, Stress und Entspannung in harmonischer Balance zu halten. Gesundes Leben ist nur mit regulativen Optionen möglich! Als ein sich selbst regulierendes biologisches System verfügt der Mensch von Natur aus über unglaubliche Potenziale, von der Autoregulation über die Homöostase und Homöodynamik bis hin zum sog. «Inneren Arzt». Sie nutzen zu können ist die Voraussetzung, dass der Organismus sein Gleichgewicht selbst aufrechterhalten kann. Im Rahmen dynamisch ablaufender Gesundheitsprozesse ist es durch diese Ordnungssysteme möglich, die Ordnung immer wieder neu herzustellen, weil sie auf ein Funktionsoptimum ausgerichtet sind. Von ganz besonderer Bedeutung sind dabei das Kausystem und der Mundraum. Im Körper erfüllt der Mundraum unzählige lebenswichtige Funktionen: Neben der Kontaktaufnahme und dem Austausch zwischen Innen und Aussen zählt auch die Nahrungsaufnahme wesentlich dazu. Projektionszonen im Mundraum bestätigen den hohen Grad an regulativen Vernetzungen zu anderen Körperregionen, z.B.: Bisslage-Kiefergelenk, Halswirbelsäule, Wirbelsäule, Becken. 

Diese strukturellen Zusammenhänge finden ihre regulative Entsprechung in den retromolaren Räumen von Ober- und Unterkiefer hinter den Weisheitszähnen. Aus diesem Grund ist es so wichtig, sich immer wieder um den Mundraum zu kümmern – insbesondere auch bei Symptomen, die vordergründig gar nichts damit zu tun haben und nur im Sinne von Reflexgeschehen erklärt werden können. Über die Okklusion – d. h. den Kontakt zwischen den Zähnen des Oberkiefers und des Unterkiefers – erfüllt auch das Kausystem lebenswichtige Funktionen. Beispielsweise wurde es dazu erschaffen, um Stress kurzfristig durch das Zusammenbeissen der Zähne zu beantworten sowie Stresseinflüsse im Gesamtsystem adäquat zu beantworten und zu verarbeiten. Nächtliches Pressen und Knirschen der Zähne («Bruxismus») ist in der Regel ein Stressventil und somit eine Möglichkeit, Stress zu verarbeiten. Die Bisslage, der Kontakt der Zähne von Ober- und Unterkiefer, wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus, indem das gesamte Harmonisierungspotenzial genutzt wird. Je mehr Kapazitäten aktiviert und genützt werden, desto besser werden die Regulationssysteme gestärkt und die Wirkung der unterschiedlichsten Stressoren harmonisiert. Im Idealfall werden Dysfunktionen kompensiert und die Systeme wieder in ihre Ordnung zurückgeführt, sodass keine gesundheitlichen Schäden entstehen.

Den Vortrag von Prof. Dr. Dr. med. dent. Irmgard Simma finden Sie in voller Länge in der SALUSMED®-Mediathek. 

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Univ. Lekt. Prof. Dr. med. univ. Dr. med. dent. Irmgard Simma
Praxis für Ganzheitliche Zahnheilkunde und ganzheitliche Kieferorthopädie in Bregenz, Präsidentin der ÖGZMK Österreichische Gesellschaft für Ganzheitliche Zahnheilkunde

Kernthese Nr. 3: 
Aus ganzheitlicher Sicht reicht es nicht aus, Symptome zu behandeln – ein Symptom ist als Pfad zu verstehen, der uns zu dem ursächlichen Defizit führen will.

Kernthese Nr. 4: 
In der Prävention und Therapie von funktionellen Störungen oder Krankheiten geht es darum, die Potenziale aller Teilsysteme zu aktivieren und die gesunden Wechselwirkungen sicherzustellen. Von ganz besonderer Bedeutung sind dabei das Kausystem und der Mundraum.

Das wichtigste Regulativ ist dabei die Verbindung zwischen der Atemfunktion und allen anderen Sinnesorganen und Körpersystemen – z. B. dem respiratorischen System, dem metabolischen System, dem strukturellen Fasziensystem oder der Muskulatur, dem Gefässsystem, dem autonomen und vegetativen Nervensystem, Herz-Kreislaufsystem, Gehirn, etc. Das ist ein Gesamtpotenzial, das dem Leben zur Verfügung steht, von der Geburt bis zum Tod! Nach diesem Verständnis ist ein Symptom als Pfad zu verstehen, der uns zu dem ursächlichen Defizit führen will. Jeder Arzt und Therapeut sollte deshalb sehen und verstehen lernen, dass der Mensch mit seiner Innen- und Aussenwelt systemisch, kybernetisch und biokybernetisch vernetzt ist. Aus ganzheitlicher Sicht reicht es also keineswegs aus, Symptome zu behandeln und den Patienten von einem «Teilbereich-Spezialisten» zum nächsten zu delegieren. Vielmehr geht es ausdrücklich darum, ein Symptom von Anfang an ursächlich in den Kontext des Gesamtsystems einzuordnen.

Kommentar aus Sicht der SfGU:
«Interdisziplinäres Denken und Handeln sind angesagt. Um dies zu fördern, veranstaltet die SfGU u. a. den Internationalen Bodenseekongress. Bei der 15. Auflage kamen wieder fünf Referentinnen und Referenten aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Fachgebieten zusammen. Bei Fachtagungen ist es nicht die Regel, dass sie sich in solch einem Rahmen treffen und bereichsübergreifend austauschen. Meistens sind die Spezialisten unter sich – Zahnärzte, Mikrobiologen, die Vertreter der Orthomolekularen Medizin und die Experten, die sich mit elektromagnetischer Strahlung beschäftigen. Aus Sicht der Regulationsmedizin ist es Sinn der Sache, die Gemeinsamkeiten herauszufinden. Wir alle verfolgen das gleiche Ziel, nämlich die Gesundheit zu stärken. Viele Disziplinen tragen mit ihrer hohen fachlichen Expertise dazu bei und müssen deshalb lernen, sich als Netzwerke zu verstehen. Deshalb pflegen wir den Austausch und die Diskussionen am Internationalen Bodenseekongress. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass interdisziplinäres Denken und Handeln positive Konsequenzen hat – für den einzelnen Menschen und das Gesundheitswesen an sich. In diesem Zusammenhang verfolgt die SfGU auch das Ziel, verstärkt auf die Bedeutung des Kausystems und des Mundraums einzugehen. Das sind hochrelevante Aspekte, die noch viel zu wenig Beachtung finden, z. B. dass nächtliches Zähneknirschen ein Teil des Stressregulation ist.»

Andreas Hefel, Präsident der SfGU