Das Mikrobiom als Ökosystem schützen

Monokulturen in der Landwirtschaft, einseitiges Ernährungsverhalten, Schadstoffbelastungen und die Einnahme bestimmter Medikamente sind vier von vielen Faktoren, die das komplexe Mikrobiom aus dem Gleichgewicht bringen können. Nimmt dadurch die Anzahl von Bakterienfamilien im Darm ab, steigt das Risiko für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Die Diagnose «Reizdarm» gilt es kritisch zu hinterfragen. Hinter den Symptomen können sich auch andere Krankheiten, Unverträglichkeiten und Mangelzustände verbergen.

Was Dr. med. Kurt Mosetter am 14. Internationalen Bodenseekongress der SfGU erwähnte, kam auch am Tagesseminar «Neue Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie für den Darm» erneut zum Ausdruck: «Der Mensch ist ein grosses Ökosystem. Es ist in uns und wir sind ein Teil davon.» Am Beispiel chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (CED) ging dabei Prof. Dr. med. Stephan Vavricka (Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie FMH, Spez. Hepatologie) auf die Bedeutung einer hohen Diversität, d. h. Vielfältigkeit, von Darmbakterien ein: «Man weiss, dass bei der Entstehung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa die reduzierte Anzahl von Bakterienfamilien im Darm eine ganz wichtige Rolle spielt.» Dies sei z. B. auf Behandlungen mit Antibiotika zurückzuführen. Während das normale Mikrobiom – die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den Darm besiedeln – einer blühenden Wiese entspreche, verwandle es sich dadurch bildlich gesprochen in einen Acker. «Auf diesem Acker beginnt anschliessend Unkraut zu wachsen – d. h. Bakterienarten, die die Darmflora ungünstig verändern.» Entwickelten sich daraus im Zusammenspiel mit verschiedenen anderen Faktoren im Laufe der Zeit chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, so dauere die Diagnosestellung in der Schulmedizin sehr lange: «Vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnose Morbus Crohn vergehen in der Schweiz bei einem männlichen Patienten im Durchschnitt 60 Monate und bei einer Frau 90 Monate», erklärte der Facharzt. Da für die Diagnose des Morbus Crohn bis heute kein Goldstandard existiere, ergebe sich das Bild immer durch das Zusammenfügen einzelner Puzzleteile, wie z. B. der Anamnese, Endoskopie, Histologie, radiologischer Untersuchungen, Laboranalytik und biochemischer Befunde. Dass dabei vielfach Jahre verstreichen, bringt für die Patienten Risiken mit sich: «Je länger diese Krankheit andauert, desto komplizierter werden die Therapien und desto grösser wird auch die Wahrscheinlichkeit eines operativen Eingriffes.»

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Die Schwierigkeit, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen schulmedizinisch zu diagnostizieren, führe nicht selten auch zu einem Fehlschluss: «Ohne dass die richtige Diagnose gestellt wurde, werden Betroffene von den behandelnden Ärzten aus dem Gefühl heraus in die Reizdarm-Schiene gelegt», so Vavricka. Dabei appellierte er dafür, dies möglichst frühzeitig kritisch zu hinterfragen und stattdessen auch weitere Krankheiten, Unverträglichkeiten und Mangelzustände abzuklären, wie z. B. Zöliakie, CEDs, zu niedrige Proteinwerte oder ein Mangel an Vitamin D. Mit Blick auf die Zunahme von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen liegt ihm das Mikrobiom «extrem am Herzen»: So zeigten Veränderungen der Darmflora, wie fragil das gesamte System sei und wie wenig es noch immer verstanden werde. Dabei zeigte er sich als Verfechter einer differenzierten Sichtweise und einer kooperativen Haltung: «In den vergangenen 20 Jahren habe ich gelernt, dass Medizin nicht Schwarz oder Weiss ist, sondern dass es noch 50 Graustufen dazwischen gibt. Als Schulmediziner bin ich sehr offen gegenüber der Alternativmedizin und ich lerne auch von Ihnen – z. B. über die Stuhlanalyse zur Bestimmung des Mikrobioms.»

Abwechslungsreiche Ernährung
Welch grossen Einfluss Medikamente auf das Mikrobiom haben, verdeutlichte Andreas Scheler (Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren (D), Komplementärmedizin). In seinem Vortrag ging er auch auf eine Studie des European Molecular Biology Laboratory ein, die 2018 in der Fachzeitschrift «Nature» erschienen ist. Sie zeigt, dass eine Vielzahl von Medikamenten einen Effekt auf das Mikrobiom hat, der zu einer Verarmung der Bakteriengemeinschaft führt – vergleichbar mit Antibiotika. Dazu zählen u. a. Protonenpumpenhemmer und Psychopharmaka, die sehr häufig verordnet werden.

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Auch Scheler sprach sich dafür aus, auf eine hohe Diversität von Darmbakterien zu achten: «Das ist wie in der Waldwirtschaft – während Monokulturen sturmanfällig sind, leben Mischwälder länger und sind robuster.» Besonderes Augenmerk richtet er dabei auf die Ernährung: «Mit einem therapeutischen Eingriff wird das gesundheitliche Problem auf Dauer nicht erledigt sein – dazu braucht es Veränderungen im Lifestyle.» Laura Koch (Ernährungsberaterin BSc BFH am NHK Institut für integrative Naturheilkunde) beschäftigte sich in ihrem Referat ebenfalls mit Monokulturen und ihren möglichen Risiken für die Gesundheit des Menschen: «Indem die ursprüngliche Vielfalt zunehmend den Monokulturen gewichen ist, hat sich die Agrarindustrie in den vergangenen 60 Jahren sehr stark verändert. Die Ertragskraft der Nutzpflanzen steigt, aber die Qualität sinkt.» Werde auch die Ernährung einseitig, dann gelangten z. B. durch den übermässigen Verzehr unreif geernteter Fruchtsorten vermehrt Lektine in den Darm: «Diese Kohlenhydrat-bindenden Proteine bilden das Immunsystem der Pflanzen gegen Frassfeinde. Indem sie sich verkleben und aneinanderhängen, können sie das Mikrobiom beeinflussen und die Darmintegrität beeinträchtigen.»

Vorbeugen ist besser als heilen
Daraus leitete Andreas Hefel (Präsident der SfGU) eine Schlussfolgerung nach dem SALUSMED®-Prinzip ab, die nicht nur therapeutisch, sondern insbesondere präventiv von hoher Relevanz ist:

«Gelingt es uns, Schadstoffbelastungen zu minimieren und unerwünschte degenerative Kräfte zu reduzieren sowie gleichzeitig die regenerativen Selbstheilungs- und Reparaturkräfte des Organismus zu stärken, dann können wir das erreichen, was wir alle anstreben: Bei guter Gesundheit und hoher Lebensqualität alt werden!»

Text: Jürgen Kupferschmid | Bild: Hepart AG

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