Zu viel Zeit vor dem Computer, Smartphone und der Spielekonsole gefährdet das gesunde Aufwachsen
Zu viel Zeit vor dem Computer, Smartphone und der Spielekonsole gefährdet das gesunde Aufwachsen
Die Digitalisierung ist nicht ohne Risiko. Aufgrund der Ergebnisse der BLIKK-Medienstudie hat die damalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, bereits im Mai 2017 darauf hingewiesen. Mit der Studie „Smart Aufwachsen 2019“ haben Kinder- und Jugendärzte erneut darauf aufmerksam gemacht, dass der übermässige Konsum digitaler Medien Heranwachsende krank macht. Im Interview mit SALUSMED geht Dr. med. Thomas Fischbach* auf die gesundheitlichen Gefahren ein.
Herr Dr. Fischbach, die Studie „Smart Aufwachsen 2019“ der pronova BKK kam zu dem eindeutigen Ergebnis, dass Computer, Smartphones und Spielekonsolen Kinder krank machen. Haben Sie mit diesem sehr deutlichen Resultat gerechnet?
Dr. med. Thomas Fischbach: Ja – das Ergebnis der Studie „Smart Aufwachsen 2019“ hat mich nun wirklich nicht überrascht. In Kooperation mit der Rheinischen Fachhochschule Köln hat der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) bereits in den Jahren 2016 und 2017 die BLIKK-Medienstudie durchgeführt. Auch bei dieser Erhebung ging es darum, dass die Digitalisierung nicht ohne Risiko ist: Sie kam zum Schluss, dass übermässiger Medienkonsum die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gefährdet. Die damalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, wies in diesem Zusammenhang darauf hin, wie wichtig die Hilfe von Eltern, Pädagogen sowie Kinder- und Jugendärzten ist. In der Entwicklung eigener Medienkompetenz dürften Kinder im digitalen Kosmos nicht allein gelassen werden, betonte sie bei der Vorstellung der Ergebnisse im Mai 2017. Das Resultat der BLIKK-Medienstudie konnte mit der Befragung „Smart Aufwachsen 2019“ aus Sicht von 100 Kinder- und Jugendärzten nochmals bestätigt werden.
Anfang 2019 forderten mehr als 230 Ärzte und Wissenschaftler ein Moratorium für die neue Mobilfunktechnologie 5G, weil die gesundheitlichen Folgen nicht hinreichen untersucht seien. Wie stehen Sie dazu – auch mit Blick auf den beschleunigten Netzausbau im Schatten von Corona?
Dr. med. Thomas Fischbach: Als Teil einer globalisierten Welt wäre es nicht zu vertreten, solch eine bedeutsame Erweiterung des Frequenzspektrums und der Anwendungsgebiete auszusetzen, bis belastbare Langzeit-Gesundheitsstudien vorliegen. Im internationalen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte sind uns andere Länder auf dem Gebiet der Informationstechnologie schon heute deutlich überlegen. Deshalb darf Deutschland den digitalen Anschluss definitiv nicht verpassen. Das heisst im Umkehrschluss aber nicht, dass potenzielle Risiken deshalb einfach so unter den Teppich gekehrt werden sollten. Die Einführung der neuen Mobilfunktechnologie 5G bedarf deshalb einer wissenschaftlichen Begleitforschung durch Institute, die z.B. an unabhängigen Universitäten angesiedelt sind.
Nochmals zurück zur Studie „Smart Aufwachsen 2019“. Welche Folgen kann „smartes Aufwachsen“ in Zeiten von Corona haben und welchen besonderen Stellenwert hat dabei das „soziale Lernen“?
Dr. med. Thomas Fischbach: Schon vor der Corona-Krise war der übermässige Konsum digitaler Medien mit Risiken für ein gesundes Aufwachsen verbunden. Die bereits geschilderten Gefahren – ein Teufelskreis aus Fehlernährung und Bewegungsmangel – wurden durch den Mitte März verhängten Lockdown nicht gerade weniger. Über Wochen hinweg gibt es praktisch keine realen Treffen mit Gleichaltrigen mehr. Stattdessen stellt der Bildschirm nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder und Jugendliche die einzige Kontaktebene statt: Sie erledigen die Schulaufgaben online, verbringen die Freizeit online, etc. Soziale Lernprozesse finden unter diesen Rahmenbedingungen einfach nicht mehr statt. Auch ich habe täglich viele Video- und Telefonkonferenzen. Das macht mich allmählich ganz „wuschig“ und ich sehne mich danach, endlich wieder reale soziale Kontakte wahrnehmen zu können. Dabei bin ich ein erwachsener Mann – Kinder und Jugendliche sind mitten in der Entwicklung und müssen ihr Persönlichkeitsbild erst noch festigen. Auch deshalb ist „soziales Lernen“ in der Gruppe Gleichaltriger so immens wichtig.
Weitere Informationen: bvkj.de, kinderaerzte-im-netz.de
* Kinderarzt in Solingen und Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)
Interview: Jürgen Kupferschmid
Bilder: AdobeStock, pronova BKK, Frank Schoepgens FOTOGRAFIE