«Gut gemeint, aber sinnlos»
«Gut gemeint, aber sinnlos»
Aktivierte B-Vitamine liegen voll im Trend. Hersteller werben mit einer besonders hohen Bioverfügbarkeit. Doch was ist dran an diesem Versprechen? Im Interview erläutert der Chemiker Dr. Dietmar Bezold*, wie der Körper die unterschiedlichen B-Vitamine immer in ein einheitliches „Vitamin“ umwandelt, das der Zelle zur Verfügung gestellt wird. Ob aktiviert oder nicht aktiviert – in diesem Prozess werden zunächst alle funktionellen Gruppen komplett abgespalten, also auch jene, die einem chemisch modifizierten Vitamin von aussen hinzugefügt wurden.
Herr Dr. Bäzold, die sog. aktivierten B-Vitamine haben sich zu einem Trend entwickelt, der die Fachwelt entzweit. Worum geht es?
Dr. rer. nat. Dietmar Bäzold: Die in der Naturheilkunde tätigen Fachkollegen sind zunehmend in zwei Lager gespalten – die Befürworter von den sog. aktivierten B-Vitaminen und all jene, die in diesem Hype keinen Nutzen für den Anwender erkennen können. Die Diskussionen erlebe ich als nicht sonderlich erquicklich, weil sie vielfach die biochemischen Vorgänge, die in jeder Zelle ablaufen, ignorieren. Trotz Biohacking tricksen wir unseren Körper nicht aus. Unsere Biologie ist so schlau, dass wir immer nur mit ihr, aber nie gegen sie arbeiten können. Die biochemischen Erkenntnisse sollte man deshalb akzeptieren und anwenden. Es ist eine Augenwischerei zu behaupten, dass aktivierte B-Vitamine die Bioverfügbarkeit erhöhen. Wer das tut, der ignoriert schlichtweg die Grundlagen zum Verständnis der Resorption, z.B. von Vitamin B12.
Auf welche Grundlagen kommt es an?
Dr. rer. nat. Dietmar Bäzold: Es handelt sich hier um einen sehr spannenden Prozess: Es gibt eine ganze Familie von B12-Vitaminen, wie z.B. das Vitamin B12a (Aquocobalamin), das Vitamin B12b (Hydroxicobalamin) oder das Vitamin B12c (Nitriticobalamin). Ob das Vitamin B12 von einem tierischen Produkt stammt, oder, wie im Falle eines aktivierten B-Vitamins, synthetisch hergestellt wurde, weiss der Körper nicht. Mit dem Ziel, der Zelle ein „normgerechtes“, einheitliches Vitamin zur Verfügung zu stellen, werden deshalb genau diese „Endungen“ a, b, c von Enzymen komplett abgespalten. Dabei handelt es sich um sog. funktionelle Gruppen, die bei den aktivierten B-Vitaminen die zentrale Rolle spielen: Ein chemisch modifiziertes Vitamin B12 wird bereits vom Hersteller mit einer Methylgruppe ausgestattet, die dann im Homocysteinkreislauf unmittelbar wirksam werden soll. Im Endeffekt ist das aber für die Katz, weil es abgespalten wird, bevor es dort hineingelangen kann.
Wie ist denn die Studienlage zur Wirksamkeit des aktivierten Vitamins B12?
Dr. rer. nat. Dietmar Bäzold: Die Hersteller versprechen zwar, es sei etwas Besonderes, doch mir ist bislang noch keine Literatur bekannt, die das hinreichend belegt. Der entscheidende mechanistische Nachweis der reinen chemischen Strukturanalyse ist nicht erbracht, d.h.: Kommt die Methylgruppe, mit der das aktivierte B12-Vitamin ausgestattet wurde, tatsächlich auch im Homocysteinkreislauf an? Ich gehe davon aus, dass sich dort keine Effekte einstellen – die Endgruppen des Vitamin B12 werden abgespalten und das standardisierte körpereigene S-Adenosylcobalamin aufgesetzt. Nur dieser Prozess dient der Übertragung von Methylgruppen. Er läuft also von Natur aus anders ab, als beim aktivierten Vitamin B12 suggeriert wird. Ich bin der Meinung, dass man dem Endverbraucher mit dem synthetisch hergestellten Metyhlcobalamin keinen grossen Gefallen tut.